002 - Pflege trifft Neuropsychologie
Shownotes
Die kognitive Leistungsfähigkeit von neurologisch Betroffenen einschätzen und zu fördern – das ist eine der Aufgaben von Neuropsychologen/innen. Im interdisziplinären Team nehmen sie darüber hinaus auch weitere Aufgaben wahr: Pflegefachkraft Conny und Neuropsychologe Christian aus der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik erklären, woran sich ein Neglect erkennen lässt und wie viel Kraft positive Psychologie für Patienten/innen und Behandler/innen haben kann.
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Folge 002: Pflege trifft Corona
Folge 002: Aufgenommen in der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik, Nümbrecht
Folge 002: [TC 00:15:02]Fallgeschichte
Folge 002: [TC 00:31:45]Angehörigenkommunikation – Tipps vom Psychologen
Gordon: Willkommen zurück zur 2. Folge dieses Podcast. Letztes Mal hatten wir die Konstellation Pflege und Logopädie. Heute haben wir die Konstellation Pflege und Psychologie. Und die allerwichtigste Frage am Anfang in Richtung Christian, du bist ja Psychologe hier: Hast du eine Couch in deinem Büro?
Christian: Ich habe leider keine Couch in meinem Büro. Das hätte ich ganz gerne für mich hin und wieder, aber für Patienten brauche ich das gar nicht.
Gordon: Conny, du bist hier in der Klinik schon wie lange?
Conny: Seit zwei Jahren ungefähr. Habe vorher jahrelang auf einer Intensivstation gearbeitet. Und ich fand das hier ganz spannend auch mal zu sehen, wie das nach einer Intensivstation weitergeht. Also für mich war das jetzt so eine große Herausforderung, aber ich finde es super toll und mir gefällt es hier eigentlich sehr gut.
Gordon: Was war die Herausforderung und ist es immer noch eine Herausforderung?
Conny: Es ist immer noch eine Herausforderung, weil, wenn man so teilweise sieht, wie Patienten hier ankommen von den Intensivstationen, dann nachher wiedersieht, wie sie vielleicht eventuell wieder rausgehen, ist dann natürlich supi. Denn ich kann mich an so manchen Patienten erinnern, der halt eben mit der Trage reingebracht wurde und der danach halt zu Fuß wieder rausgegangen ist. Ich meine, gut, klappt nicht vielleicht bei jedem Patienten, das hängt auch immer ein bisschen mit der Erkrankung zusammen, aber ansonsten der überwiegende Teil geht zu Fuß wieder raus.
Gordon: Klasse, weil du siehst mich jetzt schmunzeln und ich kann spüren, dass die Zuhörenden auch gerade schmunzeln, weil in der Folge davor hat nämlich die Kollegin das Gleiche gesagt. Dass sie gesagt hat, es ist eine Herausforderung, die Leute kommen schwer krank hier rein und es ist eines der tollsten Erlebnisse zu sehen, wie die zu Fuß, in Anführungsstrichen, den Laden wieder verlassen.
Conny: Ja, das ist halt eben auch so. Ich habe über 30 Jahre auf einer interdisziplinären Intensivstation gearbeitet und oftmals sind die Leute halt eben verstorben oder halt eben auf die Station verlegt worden. Und für mich war dann immer ein bisschen schwierig dann nachzuvollziehen, was aus den Patienten geworden ist, weil man kriegt nicht so die Rückinfos von den Stationen. Hier kann ich dann jetzt live sehen, wie Patienten halt eben von den Intensivstationen hier ankommen und wie das dann halt weitergeht.
Gordon: Meine erste Frage wäre nämlich auch gewesen: Was macht denn diesen Reiz aus, gerade im Vergleich so intensiv und ambulante Pflege, aber das hast du eigentlich schon total perfekt beantwortet, oder? Also ist es das so?
Conny: Ja, das ist so.
Gordon: Cool! Christian, Mann, ich habe das gerade so ein bisschen flapsig gesagt so, hast du eine Couch in deinem Büro. Man denkt ja jetzt bei einem Psychologen jetzt erstmal daran: Ist es jetzt Freud oder muss ich jetzt irgendwas aufarbeiten in meiner Historie oder sowas? Aber das ist hier gar nicht dein Job. Was ist deine Aufgabe hier in der Klinik?
Christian: Naja, Neuropsychologie geht eigentlich auch auf andere Ursprünge zurück. Also das ist tatsächlich, wenn man in die Historie guckt, geht die Neuropsychologie sehr stark auf Weltkriegsereignisse zurück, Hirnverletzte, die irgendwie Schussverletzungen bekommen hatten und so. Und da ist der Ursprung der Neuropsychologie stärker drin als jetzt bei diesen Geschichten mit Sigmund Freud und so. Dementsprechend gibt es bei uns auch eine komplett andere Tradition der Behandlung, ganz andere Behandlungskonzepte. Und Neuropsychologie, der Name sagt das ja schon, das ist so Programm, wir beziehen uns auf neurologische Patienten. Das ist also unsere Klientel, mit dem wir uns beschäftigen.
Gordon: Was sind denn die typischen Erkrankungen, die du Tag ein, Tag aus siehst bei den Patienten?
Christian: Also man kann so zwei Schwerpunkte eigentlich angeben. Das eine ist bei, sagen wir mal, Schlaganfallpatienten oder Schädelhirntrauma-Patienten, die also eine Hirnverletzung haben, dass sie kognitive Defizite haben. Ganz prominent sind Aufmerksamkeitsdefizite, Konzentrationsschwächen, Gedächtnisstörungen sind eben ganz häufig. Also das sind 80 Prozent der Schlaganfallpatienten, bei denen man in irgendeiner Form und Ausprägung solche Defizite finden kann. Das ist also ein sehr großer Schwerpunkt unserer Arbeit mit passenden neuropsychologischen Methoden diese Dinge zu untersuchen und dann halt auch Therapie anzubieten, also Aufmerksamkeitstraining, Gedächtnistherapie zum Beispiel. Es gibt auch ganz skurrile Störungen, wie zum Beispiel Neglect,
Christian: eine räumliche Wahrnehmungsstörung oder eine Störung also räumlicher Verarbeitungsprozesse, bei denen die Patienten die Hälfte der Welt irgendwie nicht mehr mitkriegen. Auch unter Umständen die Hälfte von sich selber, also dass sie …
Gordon: Wie äußert sich das so im Alltag? Also wie erkenne ich von außen, dass jemand einen Neglect hat?
Christian: Ja, das ist gar nicht so leicht zu erkennen. Das ist ja oft auch das, was Neuropsychologie auszeichnet, dass wir Dinge untersuchen, die man so offensichtlich gar nicht sehen kann. Also so ein Neglect zum Beispiel, den kann man abschätzen, wenn ein Patient öfter mal irgendwo an der linken Türkante hängenbleibt oder so und meinetwegen den linken Arm sich grün und blau gehauen hat. Oder der Arm beispielsweise auch so auffallend wenig genutzt wird, obwohl der motorisch funktionieren würde. Also das ist so ein Merkmal von Neglect. Also diese kognitiven Störungen, das ist ein wesentliches Element unserer Arbeit, was sonst in der Psychotherapie also eigentlich überhaupt keine Rolle spielt, das ist halt bei den neurologischen Patienten ein Schwerpunkt.
Gordon: Also generell so diese Wahrnehmungsverarbeitung?
Christian: Ja.
Gordon: Ich erinnere mich da an meine Zeit als Therapeut, und wir hatten dann ja auch mit Physiologen bei einem Patienten haben ihn mobilisiert an die Bettkante und haben dann gemerkt, dass er unfassbar in eine Richtung zu drücken scheint.
Christian: Ja genau.
Gordon: Damals nannte man es irgendwie Push-Symptomatik, ich glaube heute nennt man das nicht mehr so, aber ich weiß nicht. Das ist auch sowas, ja, … (Christian: Genau), dass ich irgendwie meine eine Seite nicht so wahrnehme, will mich in eine gerade Position rücken, was aber augenscheinlich nicht gerade ist oder nur man jemandem vorgaukelt?
Christian: Ja. Also tatsächlich die Patienten sind von ihrer Wahrnehmung her aus der Mitte zu einer Seite verschoben. Also das ist eben auch so ein typisches Symptom von Neglect. Genau.
Gordon: Okay. Ja, krass. Das ist sehr, sehr faszinierend, deswegen, also da kann man Bücher drüber schreiben, hat man auch getan.
Christian: Ja. Wie gesagt, das ist die eine Säule von unserer Arbeit, die zweite Säule, die ist tatsächlich ein bisschen stärker so psychotherapeutisch, das ist eben gerade alles, was so Krankheitsverarbeitung anbelangt. Also das ist ja oft auch ein Riesenthema bei vielen Patienten, dass, wenn die einen Schlaganfall haben und sich erleben, vorher ging alles wie selbstverständlich, plötzlich kann man nicht mehr richtig sprechen, plötzlich kann man nicht mehr richtig Nahrung zu sich nehmen und so weiter, ganz viele Einschränkungen. Das muss man ja auch erstmal irgendwie verarbeiten.
Gordon: Conny, hast du, wenn es darum geht, irgendetwas zu verarbeiten, so die Leute kriegen mit, dass irgendwas nicht in Ordnung ist, bemerkst du das auch in deiner täglichen Arbeit?
Conny: Ja natürlich. Bei den Lagerungen halt eben,
gerade, wenn die Patienten Neglect haben, dass sie halt eben vergessen ihren Arm mitzunehmen, oftmals liegen sie dann drauf, man muss sie dann immer darauf aufmerksam machen halt eben: Bitte den Arm hochhalten. Oder ich lege ihnen den auf den Bauch: Halten Sie bitte Ihren Arm fest. Mache sie immer wieder darauf aufmerksam, dass da ja noch eine Körperhälfte ist, die man halt eben auch benutzen kann.
Gordon: Und auch so in der emotionalen Verarbeitung, dass die Patienten merken, okay, ich bin nicht mehr so wie früher?
Conny: Ja. Wir hatten jetzt vor kurzem einen Patienten, relativ jung, der war dann halt eben auch noch aphasisch und konnte sich nicht äußern. War halt eben wohl früher ein sehr kommunikativer Patient, Mensch.
Gordon: Was heißt relativ jung?
Conny: Naja, der war so Anfang, Mitte 40. Also das ist ja noch relativ jung. Und der war dann halt eben auch im Rollstuhl und der hat manchmal in dem Rollstuhl gesessen und hat bitterlich geweint, weil er sich einfach nicht mitteilen konnte. Und das war für den echt eine ganz, ganz krasse Sache. Auch zu sehen, wir haben in jedem Zimmer so digitale Bilderrahmen und die Familie hat ihm Fotos mitgebracht, er war ein leidenschaftlicher Motorradfahrer. Und dann mitzukriegen, ey, das wird nicht mehr funktionieren, also was er eigentlich für sich sehr gerne gemacht hat. Deswegen haben wir dann teilweise auch den Bilderrahmen wieder abgeschaltet, weil das eskalierte dann auch schon mal. Er wurde dann halt eben auch böse, weil er dann mit dieser Situation gar nicht klarkam.
Gordon: Ich sag mal, die Frage haben wir jetzt so im Kern gar nicht vorbereitet, aber ich nehme die einfach mal trotzdem mit auf. Das ist ja eine unfassbar belastende Situation. Ich habe da einen Patienten, den ich begleite, ich habe jemand, vielleicht, machen wir uns nichts vor, irgendwann, du hast ja auch so eine gewisse, irgendeine Art von Beziehung zu dem Patienten aufgebaut und es ist natürlich auch für dich als Therapeuten oder als Pflegekraft unfassbar belastend, so jemand zu sehen. Wie schütze ich mich denn davor, Christian, dass ich das mit nach Hause nehme? Hast du da eine Idee?
Christian: Also das ist eine echt erstaunliche, also die Frage ist nicht erstaunlich, die ist völlig nachvollziehbar, aber meine persönliche Erfahrung ist dahingehend total erstaunlich, weil mir das von Anfang an so gegangen ist, seit ich sozusagen zum ersten Mal mit neurologischen Patienten zu tun hatte. Das, was die Conny grad vorhin gesagt hat, nämlich in der Reha erleben wir Patienten in der Mehrzahl der Fälle, also man kann eigentlich fast sagen fast immer, dass die besser werden. Die ziehen sich also, oder die machen eine Entwicklung von ganz elend bis wie auch immer, es wird besser. Es wird in den allermeisten Fällen irgendwie besser bis hin zu richtig super. Und das ist natürlich etwas, was wir dann als Therapeuten auch Woche für Woche sehen können, wie sich Patienten erholen, wie es denen bessergeht. Und das thematisieren wir auch sehr stark mit Patienten. Eben in der Reflektion ist das für den Patienten auch wichtig, dass er eine Rückmeldung kriegt: Guck mal, letzte Woche war soundso schlimm und diese Woche bist du an der und der Stelle. Also das sind, sagen wir mal, auch solche Dinge, die wir natürlich von psychologischer Seite her nutzen, um mit Patienten an diesen Dingen zu arbeiten, an der Selbstwahrnehmung. Und das ist aber auch ein Faktor für mich selber, dass ich tatsächlich ein positives Erleben habe bei all dem Elend, das ein Patient natürlich auch mitbringt.
Gordon: Das heißt, es hilft dir schon, du hast da Mitgefühl mit diesen Patienten, dass du dann schon auf so einer empathischen Schiene mitgehst, weißt aber auch, dass er eine Transformation durchleben wird, und das kannst du ihm dann auch rückmelden. Und das ist dann wiederum für den Patienten gut, aber auch für dich für deine eigene Psychohygiene ist es gut.
Christian: Auf jeden Fall. Ja, genau. Es gibt allerdings Patienten, da muss ich ehrlich sagen, also für einen Therapeuten ist immer wichtig, eine therapeutische Distanz zu haben. Also ich habe ein Verhältnis zu einem Patienten auf einer beruflichen Ebene und ich möchte mit dem Dinge tun, damit es dem bessergeht, das ist ja mein Anliegen. Und das hat mit meinem Privatleben nichts zu tun. Aber manchmal erlebt man tatsächlich Fälle, also wo man sich die Tränen dann echt schwer verkneifen kann. Da kommt man dann auch eben mit seiner ganzen Distanz so an die Grenzen.
Gordon: Aber es ist ein Stück weit ein normaler Prozess?
Christian: Ja, klar.
Gordon: Gibt’s denn die Möglichkeit, dass, wenn ich als Mitarbeiter an meine Grenzen komme, auch zu dir kommen kann?
Christian: Also die Möglichkeiten gibt es natürlich. Also gerade, sagen wir mal, wenn wir jetzt auch von dieser Schwerbetroffenen-Station sprechen, dann bin ich ja auch ansprechbar natürlich für das Personal. Also das ist ja gerade auch eine ganz großartige Qualität, die wir da realisiert haben. Und das passiert auch, also dass wirklich auch Therapeuten, dass man die Möglichkeit hat, entweder die anzusprechen, ich kann das ja auch machen, auf die zugehen und sagen, was ist passiert, wenn man das offensichtlich sieht, dass es jemand schlechtgeht. Das muss ja nicht immer nur der Patient sein, dem es schlechtgeht.
Christian: Also in bestimmten Fällen hatte ich das tatsächlich auch schon mal in einem sehr drastischen Ausmaß, dass es Therapeuten sehr schlecht ging und die dann wirklich eine Stunde bei mir im Büro saßen. Also das war tatsächlich, wo ich dann Patienten abgesagt habe oder andere Termine und dann eine Stunde für den Therapeuten da war.
Gordon: Werden da Räume geschaffen für in solchen konkreten Fällen?
Christian: In meinem Büro. Also das geht dann natürlich. Das ist dann auch ein sehr geschlossener Raum, sehr individuell, da geht auch nichts nach draußen sozusagen.
Gordon: Wie ist das denn so mit den Begegnungen, wo finden die denn statt, wenn ich jetzt mich mit meinen Kollegen austausche, also auf der Station?
Christian: Also auf der Station haben wir natürlich einerseits das ganz große Stationszimmer. Das hat auch im Grunde genommen zwei Räume, so diesen Dokumentationsraum und Überwachungsraum, und dann gibt es noch ein Besprechungszimmer hinten dran, wo ich auch Schiebetüren zumachen kann und dann abgeschlossen sein kann sozusagen und mich
Christian: rausziehen kann mit jemandem. Das ist möglich. Was haben wir sonst noch? Die Küche.
Conny: Die Küche.
Christian: Ja genau. Das ist auch so ein Begegnungsraum. Und wir haben natürlich noch das Therapeutenzimmer, wo Dokumentationsmöglichkeiten sind und wo man auch drei, vier Stühle hat, wo man sich hinsetzen kann und einfach auch mal miteinander sprechen kann.
Gordon: Also das ist etwas, was eigentlich gewünscht ist, dass man sich austauscht?
Christian: Das ist gewünscht. Genau. Also das ist ja auch eine …
Gordon: Architektonisch schon quasi?
Christian: Ja, ja, genau.
Gordon: Dadurch, dass man diese Räume hat.
Christian: Die Station ist ja 2017 neueröffnet worden nach einem dreivierteljährigen Umbau. Und man hat genau diese Dinge schon sehr stark in das Stationskonzept mit einbezogen, mitberücksichtigt, die sich jetzt eben auch im Alltag als große Qualität erweisen. Und die funktionieren.
Conny: Aber auch nicht nur in dem Gespräch unter den Therapeuten, sondern man kann sich halt eben auch in die Räumlichkeiten mit Angehörigen zurückziehen für ein größeres Gespräch, wenn jetzt bestimmte Fragen anstehen, sei es in der Küche oder halt eben man geht dann in diesen Besprechungsraum.
TC 00: 15:02
TC 00: Fallgeschichte
Gordon: Ihr habt einen Fall mitgebracht, den ich total spannend finde, aus dieser medizinischen Sicht betrachtet. Conny, vielleicht kannst du den mal kurz skizzieren. Was ist das für ein Fall gewesen und was macht ihn so herausfordernd?
Conny: Ja, der Fall ist eine junge Patientin, die war so Mitte, Ende 30, ist zu Hause aufgefunden worden mit einem Blutzucker von 18. Bei der war halt eben auch eine Magersucht diagnostiziert worden, sehr viele psychische Störungen. Und man weiß halt eben nicht, wie lange die Patientin dagelegen hat. Die ist dann reanimationspflichtig geworden und hat halt eben einen hypoxischen Hirnschaden erlitten.
Gordon: Kannst du ganz kurz skizzieren, was ein hypoxischer Hirnschaden ist?
Conny: Ja, da ist halt eben das Gehirn mit Sauerstoff zu wenig versorgt worden. Unter der Reanimation oder halt eben mit dem niedrigen Blutzucker, das kann man jetzt auch nicht mehr so wirklich nachvollziehen.
Gordon: Ja okay, Entschuldigung. Ich wollte nur einfach mal für die …
Conny: Nein, alles gut. Diese Patientin war also anfangs sehr aggressiv, hatte also immer nur so eine Embryonalstellung in dem Bett, ließ sich nicht lagern, ließ sich nicht anziehen, ließ sich nicht waschen. Die hat sich also wirklich von vorne bis hinten gegen alles gewehrt.
Gordon: War die Patientin denn in irgendeiner Form orientiert?
Conny: Nein, in keinster Weise. Also sie wusste nicht, wo sie war und sie konnte auch keine Äußerungen machen, wer sie ist und wie sie heißt. Also sie konnte sich wieder verbal äußern noch sonst irgendwas.
Gordon: Und dann gab es da dieses Angehörigengespräch und das gab dann einige erhellende Details. Kannst du sagen, was es war?
Christian: Also bei der Patientin war ja das Problem, dass sie selber über sich überhaupt nichts sagen konnte, also sie war nicht in der Lage irgendwelche Dinge anzugeben. Aber das ist natürlich immer der Punkt, wo dann die Angehörigen ins Spiel kommen und da war die Mutter der Patientin dann auch erreichbar. Die war ganz oft bei der Patientin und ich konnte dann von psychologischer Seite ein Angehörigengespräch mit ihr machen. Und die Mutter konnte einfach auch zu dem Background der Patientin dann ganz viel sagen, wie sie in diese ganze Situation, in ihre gesundheitlichen Problemlagen so reingekommen ist, wie sich das über die Jahre so entwickelt hat. Und das hat natürlich auch gezeigt, was für eine gravierende Psychopathologie bei der Patientin halt vorgelegen hat, bevor die diesen hypoxischen Hirnschaden dann bekommen hat, der ja letztendlich die neurologische Diagnose darstellt.
Gordon: Gibt es eine logische Konsequenz irgendwie aus ihrer Psychopathologie, dass es irgendwie dahinführte und wenn ja, wie war das denn dann?
Christian: Also die Patientin hatte eine Anorexie, die war sehr stark abgemagert. Das hat sicherlich auch zu diesen Blutzuckerproblemen dann geführt. Also soweit ich das noch ungefähr weiß, waren das eben auch sehr persönliche Dinge, die Beziehungsprobleme dargestellt haben und so, die die Patientin eben so eine Entwicklung haben nehmen lassen. Also das ist natürlich immer so auch schwierig sozusagen die Kausalität irgendwo zu erkennen, warum entwickelt sich ein Mensch jetzt auf die und die Art und Weise in die und die Situation rein? Was war da das Ausschlaggebende und so? Dazu haben wir ja gar nicht die Möglichkeiten das alles zu erfassen. Aber da gab‘s schon eben so Meilensteine sozusagen, an denen man erkennen konnte: Okay, seitdem das und das passiert war ging es der Patientin auffallend schlechter. Dann hat die die Essstörung entwickelt. Und die waren auch beide glaube ich sogar in Psychotherapie, in psychotherapeutischer Behandlung.
Gordon: Beide, wer war beide?
Christian: Die Patientin und die Mutter.
Gordon: Ah okay. Mhm (bejahend).
Christian: Und trotz alledem ist das also für die Patientin immer schwieriger geworden und immer schlechter gelaufen, mit der Konsequenz, dass sie dann diese Hypoxie bekommen hat, die dann natürlich eine gravierende Veränderung ihres Leistungsvermögens bewirkt hat, ihrer Hirnleistung, eine hypoxische Hirnschädigung. Je nach Schweregrad, bedeutet halt in vielen Fällen, dass man wirklich nicht mehr in der Lage ist eigenständig seine Existenz irgendwie gestalten zu können. Und das war bei der Patientin ganz eklatant so. Eben zu den psychischen Problemen, die sie vorher sowieso schon hatte, kam das halt dann noch oben drauf. Und das hat den Fall natürlich auch sehr, sehr schwierig gemacht.
Gordon: Ja, schwieriger Fall, und dann ist man natürlich trotzdem eingebettet in dieses Team. Wie war das denn jetzt so für euch aus Sicht der Pflege mit dieser Patientin zu arbeiten? Was waren so die Ziele für euch?
Conny: Also die Ziele für uns waren halt eben, dass wir dann auch diese Embryonalstellung mal …
Gordon: Durchbrechen das Muster. Okay.
Conny: … durchbrechen, wir sie dann halt eben auch mal in den Rollstuhl setzen können und so diverse andere Sachen. Und dieses Ziel haben wir also wirklich erreicht.
Gordon: Jetzt hast du gesagt, die war so ein bisschen wehrig, Compliance jetzt nicht so unbedingt da, aber wie
Conny: Nee, aber es war letztendlich so, dass, wenn man mit ihr ganz ruhig sprach und sie auch so an dem Arm anpackt und sagte, so, wir machen jetzt das und das, und man durfte halt eben auch nicht allzu hektisch werden in diesem Zimmer, war es also wirklich so, dass sie dann nachher ihre Wehrigkeit aufgegeben hat und sie sich von uns waschen ließ, anziehen ließ und wir sie dann auch ohne Probleme dann in den Rollstuhl transferieren konnten, sodass sie dann halt eben auch mal eine andere Sichtweise der Welt bekam wie nur in dem Bett zu liegen. Und das war dann halt eben schon sehr gut. Letztendlich hatten wir sie nachher zum guten Schluss soweit, dass sie auch ein paar Schritte laufen konnte. Und gut, mit dem Essen, das klappte nicht, aber sie musste essen immer noch angereicht bekommen, aber mit dem Trinken, das klappte schon gut. Wenn man ihr dann so einen Becher davor auf ihren Tisch stellte, war das kein Thema.
Gordon: War das mit dem Essen so ein Antriebsding oder kam dann die Anorexie wieder durch? Was glaubst du?
Christian: Also das war garantiert so eine Antriebsstörung. Worauf man das jetzt konkret attribuieren will, ist ja wirklich sehr die Frage, aber was die Conny grad beschrieben hat, das waren glaube ich die wesentlichen Verbesserungen, die wir erreichen konnten im Rahmen dessen, was die Patientin überhaupt schaffen konnte. Das war ihr Reha-Potenzial, sich besser zu fühlen, mehr zuzulassen, dass wir auch erlebt haben, dass sie sich zunehmend wohlgefühlt hat. Bei all den Schwierigkeiten und Einschränkungen, was auch immer an Störungsbildern die hatte, war das das Entscheidende, dass sie Momente erlebt hat oder auch untertags Situationen erleben konnte, in der es ihr nicht schlechtging, wo sie nicht weinen musste, wo sie nicht embryonal irgendwie zusammengekauert war. Das ist ja letzten Endes alles auch Ausdruck von einem hohen Maß an Verzweiflung, innerer, völliger Blockade. Und das konnten wir da mit der Patientin erreichen und das war ganz viel, das war ganz viel, wirklich.
Gordon: Das hört sich, also ich kriege da so ein bisschen Gänsehaut bei, wenn ich dann so drüber nachdenke. Wie ist denn so aus neuropsychologischer Sicht der Arbeitsansatz oder was sind deine persönlichen Ziele gewesen bei der Patientin?
Christian: Also Ziele sind bei solchen komplizierten Patienten tatsächlich erstmal, dass ich sehen kann: Womit darf ich rechnen? Was darf sich denn da verbessern? Wo könnte es denn besser werden? Bei diesen hypoxischen Hirnschäden ist das Problem, dass das Gehirn nicht mehr in der Lage ist sozusagen online das aufzunehmen, was um mich herum passiert. Ich erlebe Dinge in dem Moment und habe die sozusagen 30 Sekunden später vergessen. Die verschwinden in das Nirvana. Ich kann das also kognitiv nicht verarbeiten, aber blöderweise verarbeiten die Patienten das emotional.
Gordon: Ah okay.
Christian: Und das, wenn das also schlechtläuft, dann werden die immer depressiver, antriebsärmer, die rutschen in sowas rein, akinetischer Mutismus, da geht gar nichts mehr. Die Patientin könnte vielleicht sogar sprechen, die könnte vielleicht auch eigenständig essen und trinken, aber als sie bei uns ankam, konnte die das alles nicht. Also zunächst mal ist das Ziel zu sehen, welche Potentiale kann die denn haben? Und das haben wir auch gesehen. Und das komplette Team hat da mit der Patientin sehr, sehr gut gearbeitet. Und ich denke, wir haben das Potential, was die Patientin vielleicht in sich trägt, das weiß sie ja auch nicht, wie weit komme ich da? Aber ich glaube, gerade diese psychische Grundverfassung der Patientin, die haben wir erreicht. Die kann man dann eben auch noch erreichen, die kognitive Seite nicht mehr. Und das ist total gut gelungen, muss man sagen.
Gordon: Die emotionale Seite hast du gerade angesprochen, Christian. Conny, also in der Pflege, wie kann man oder wie konntet ihr denn diese, ich sag mal, diese emotionale Seite in euren Arbeitsalltag mit einfließen lassen? Hast du da so ein paar Beispiele?
Conny: Ja, also als erstes hat sie sich ja schon mal emotional geäußert, wenn sie eine Pflegekraft nicht leiden konnte.
Gordon: Wie sah das aus?
Conny: Das sah dann so aus, dass sie halt eben wirklich fürchterlich angefangen hat zu weinen. Also, wenn sie diese Stimme hörte, dann war Schluss, da war sie auch in keinster Weise zur Kooperation bereit. Wenn sie aber von jemandem die Stimme hörte, den sie mochte, dann war das alles überhaupt kein Problem. Dann konnte man sie versorgen, man konnte sie pflegen, man konnte sie in den Rollstuhl transferieren. Und sie fing dann auch nachher so richtig an zu grinsen.
Gordon: Schön. Ja.
Conny: Und das war dann immer sehr schön das zu sehen. Oder sie lachte dann auch richtig herzhaft, wenn ihr das gut gefallen hat. Also von daher, aber wirklich so, sie hat so ihr Wohlbefinden immer über diese emotionale Schiene gezeigt.
Gordon: Und ihr wart dann einfach auch in der Lage, das so umzusetzen, dass ihr dann die Leute, in Anführungsstrichen, hingeschickt habt, mit der sie gut klarkam und …
Conny: Genau. Richtig. Wir haben das dann so eingeteilt immer, dass dann halt eben Leute sie versorgt haben, mit denen sie gut klarkam. Gut, das kannst du auch nicht immer machen, aber überwiegend schon. Und das war dann eben witzig. Also sie war dann auch letztendlich so, dass sie, wenn ihr was nicht passte, dann hat sie gebrüllt, geschrien. Oder wenn wir sie einfach nur mit dem Rollstuhl im Zimmer stehengelassen haben, wir haben dann immer so die Tür offengelassen, dass sie uns immer sehen konnte, aber sie hat dann schon versucht, aus dem Zimmer raus zu kommen, damit sie noch mehr mitkriegte. Also das war dann immer, zum guten Schluss haben wir sie dann einfach schon mal auf den Flur gestellt, damit sie uns alle sehen konnte, wie wir da hin und herlaufen, und dann war das für sie voll in Ordnung und war sie glücklich und zufrieden. Und dass sie so ein bisschen Action miterleben konnte.
Gordon: Jetzt kenne ich das ja aus meiner Klinikzeit ja auch, dass man als Therapeut nicht so wirklich viel Zeit mit dem Patienten verbringt leider. Die Pflege natürlich dafür umso mehr. So im Team, wie habt ihr euch gegenseitig so die Bälle zugespielt, dass die Patientin am Ende dann sogar lachend auf dem Flur stand im Rollstuhl?
Christian: Also wir haben von der organisatorischen Seite her ein zentrales Thema, das ist halt die Teambesprechung, also wo sich Ärzte, die behandelnden Ärzte, das Pflegepersonal oder zumindest einer aus dem Pflegepersonalkreis und jeweils einer aus dem Therapeutenkreis treffen und es werden alle Patienten durchgesprochen. Wir reden ja über Station 12, unsere Schwerbetroffenen-Stationen Phase-B-Patienten. Da ist es so, dass das komplette Behandlungskonzept eigentlich auf der Station stattfindet. Das heißt also, wir laufen uns ständig über den Weg und haben natürlich ganz kurze Wege und können uns ganz schnell austauschen. Es gibt dann auch noch Meona, irgendwelche elektronischen Dokumentationssysteme, wo man reingucken kann: Was hat die Pflege in der Nacht erlebt mit dem Patienten und so?
Gordon: Aber der Flurfunk ist stark?
Christian: Der Flurfunk ist extrem stark, natürlich. Also davon lebt die Station. Also das ist auch auf keiner anderen Station so ausgeprägt. Und das ist ein tolles Konzept natürlich, weil sich alle betroffenen Therapeuten, Pflege, begegnen.
Gordon: Gab’s denn so ein konkretes Bild in dem Fall, dass du dann irgendwie den Kollegen weitergegeben hast so, achtet mal da drauf oder setzt das mal um, gebt mir dann Rückmeldung? Gab‘s da so ein Beispiel?
Christian: Also ich denke, wenn wir einen Patienten kennenlernen, dann geben wir so Statements darüber, was ist eine hypoxische Hirnschädigung. Also wir sind ja alle hier auch oft langjährig schon in der Profession drin und dann muss man nicht jetzt jedes Detail erklären. Aber bei der Patientin war das sicherlich auch so, dass wir von der Psychologie zum Beispiel gesagt haben: Pocht nicht drauf, ihr was zu erzählen und dann setzt sie das um und dann behält die das. Das ist einfach völlig unrealistisch. Solche Dinge, ja.
Gordon: Sowas meine ich, genau das.
Christian: Oder eben auch der Ansatz zu sagen: Guckt auf die Emotionen, auf diese affektive Seite, weil da hast du vielleicht wirklich noch einen Hebel, sie da abholen zu können, erreichen zu können.
Gordon: Und dieser Hebel hat ja auch funktioniert.
Christian: Genau.
Gordon: Ihr habt sie so ein bisschen ich sag mal betüddelt, in Watte gepackt, jetzt mal so salopp formuliert. Aber das war ja genau der Hebel, ne.
Conny: Und bei uns ist es ja auch zum Beispiel so, dass wir in den Zimmern jeweils noch so Whiteboards haben.
Gordon: Ja stimmt.
Conny: Wir haben die Whiteboards und dann schreibt jede Pflegekraft ihren Namen drauf, wer dieses Zimmer versorgt. Und dann können wir auch uns gegenseitig noch irgendwelche Nachrichten auf das Whiteboard parken. Allerdings der Flurfunk funktioniert besser. Das ist einfach so. Und einmal ein kurzes Gespräch oder ein kurzes Statement, das ist immer schon ganz wichtig.
Gordon: Also das finde ich mega faszinierend. Also, dass es zum einen eben oft diese offiziellen Dinge gibt wie so ein internes System oder auch so ein Whiteboard, aber eben, dass das die eigentliche Stärke ist, dass man mal eben kurz den Psychologen fragen kann, mal eben kurz den Therapeuten fragen kann, ohne dass man jetzt großartig Zeit verliert, das ist irgendwie einen Raum weiter. Also das sind ja diese Momente, die einfach diesen Erfolg am Ende ausmachen, ne?
Christian: Ja.
Conny: Ich finde das schon wichtig, dass man sich mal eben kurz austauschen kann. Oder wenn sich gerade jetzt kurzfristig irgendwas Anderes ergeben hat, dadurch dass alle Therapeuten ja oben bei uns auf der Station sind, die halt eben die Patienten da in Therapie haben, sei es die Ergotherapie, sei es die Physiotherapeuten, dass man mal eben kurz ein Statement geben kann und kann sagen: Hört mal, soundso ist das jetzt gerade im Moment. Macht mal ein bisschen husch, macht mal ein bisschen langsam. Patient hat, was weiß ich, Fieber entwickelt, macht mal heute nur bitte Durchbewegen, nicht so irgendwas Großartiges. Also das finde ich schon sehr, sehr wichtig, dass man das mal eben kurz durchgeben kann.
Gordon: Definitiv. Vorhin in der 1. Folge haben wir über Liegezeiten gesprochen haben. Wir haben jetzt irgendwie diese Patientin hier vor Augen, die mit diesem hypoxischen Hirnschaden aufgeschlagen ist, und irgendwann ist sie vermutlich wieder gegangen oder auch nicht, man weiß es nicht. War sie zu Fuß am Ende?
Conny: Nee, sie war nicht zu Fuß, aber so rollstuhlfähig, sodass man die nicht in den Pflegerollstuhl, sondern in einen normalen Rollstuhl setzen konnte. Und die Patientin sollte erst nach Hause zu ihrer Mutter. Da die aber noch berufstätig war, haben wir ganz viele Gespräche mit der Mutter geführt, ob sie sich sicher ist, dass sie diesen Part leisten möchte. Weil wir haben ihr nochmal aufgezeigt, was so alles dazugehört. Letztendlich ist sie dann in eine WG gegangen. Was wir halt eben auch sehr spannend fanden, weil wir der Mutter dann auch … Also ich bin auch noch Pflegetrainerin, habe in der vorherigen Klinik, wo ich gearbeitet habe, Beratung und Anleitung für pflegende Angehörige gemacht. Und dann habe ich ihr das dann mal so aufgezeigt in einem Gespräch und habe dann eigentlich zu ihr gesagt, ob sie nicht mehr davon profitiert, wenn ihre Tochter in so eine WG geht und dann hätten sie noch eigentlich mehr davon. Weil irgendwann, ich habe es in vielen Familien erlebt, eskaliert das zuhause.
Conny: [TC 00:31:45]
Conny: Angehörigenkommunikation – Tipps vom Psychologen
Gordon: Wo wir schon den Psychologen hierhaben, wir hatten in der 1. Folge dieses Podcast das Beispiel, dass es Angehörige gab, die sehr, sehr ängstlich waren mit der Patientin, die sehr vorsichtig waren, wo es dann auch unter Umständen ein bisschen hakelig wurde in der Kommunikation. Hast du so ein paar Tipps, wie ich mit, ich formuliere es mal vorsichtig, wenig kooperativen Menschen umgehe, sei es Patienten, aber auch Angehörige?
Christian: Also derlei Tipps gibt es bestimmt eine ganze Reihe. Also schwierige Angehörige, schwierige Patienten, das ist schon ein sehr häufig vorkommendes Thema. Da ist jetzt die Frage, an wen sich die Tipps richten sollen? Also, wenn es jetzt in Richtung Pflege geht?
Gordon: Ja, auch gerne die Pflege und auch Angehörige.
Christian: Grundsätzlich, also zum Beispiel, wenn wir mit Patienten oder Angehörigen zu tun haben, die so in Richtung aufbrausend sind, zum Beispiel, die dann also sehr fordernd auftreten und solche Dinge tun, kann man ja auf jeden Fall mal die Empfehlung geben, also das niemals persönlich nehmen, was ein Patient oder ein Angehöriger einem vorbringt. Und ganz wichtig, das machen wir auch mit Kommunikationsschulungen für Therapeuten auch, zu sagen, okay, signalisiere deinem Gegenüber, ich bin empfangsbereit, ich höre dir zu oder Ihnen. Wir finden das auch immer wichtig, dass man Angehörigen sowieso, aber auch den Patienten mit einer gewissen Distanziertheit begegnet, distanziert und sachlich. Ich nehme Ihre Anliegen ernst, und ich nehme das erstmal auf. Zur Not, wenn ich sehe, also hier ist was richtig, ein handfester Konflikt oder so, ich schreibe es mir auf. Und dass einem auch immer klar ist, ich muss niemandem sofort eine Lösung präsentieren. Also das reicht ja erstmal zu sagen, okay, ich sehe hier Ihr Problem und ich schreibe mir das hier auf und ich werde mich an den und den wenden, um da irgendeine Lösung zu finden, aber ich habe jetzt auch nicht unbedingt eine. Also, dass man sich innerlich gar nicht so immer in diesen Druck begibt, ich muss dem jetzt sagen, wie es geht. Das muss ich überhaupt nicht.
Gordon: Da waren jetzt zwei Dinge drin, die ich super spannend fand. Zum einen war es so diese Bewusstheit, dass es da Menschen sind, Angehörige, Patienten, die in einem der schlimmsten Momente ihres Lebens sind, vielleicht sogar. Also gerade hier, wenn es eine neurologische Erkrankung ist, dann ist es ja ein massiver Einschnitt nicht selten. Und dass die nicht ganz rational unterwegs sind, darf man auch verstehen, glaube ich. Und vor allem, dass man, wenn man, in Anführungsstrichen, angepflaumt wird von Patienten oder Angehörigen, dass das in der Regel nicht an die Person, also an mich, gerichtet ist, sondern irgendwie ein Gefühlsausbruch ist, der erstmal nicht mich betrifft. Das war irgendwie das eine, dass es mich irgendwie schon erreicht, ich bin der Adressat in dem Moment, aber ich bin nicht das Problem unter Umständen. Und dass man dann sagt, okay, ich nehme das an, ich höre Ihnen zu, ich begegne Ihnen wertschätzend.
Christian: Genau.
Gordon: Und wenn ich keine Antwort parat habe, dann sauge ich mir nicht irgendwas aus den Fingern, sondern sage, okay, ich nehme das mit, ich schreibe mir das auf. Auch dieses Aufschreiben hat ja was von, ich gehe in Aktion für Sie, ich mache was für Sie, ich schreibe mir das auf und werde mich an den und den richten. Dass dann auch klar ist, okay, irgendwie geht mein Problem weiter in Richtung Lösung. Das ist eine sehr, sehr spannende Sache.
Christian: In der Tat ist es natürlich so, dass wir auch, sagen wir mal, Grenzen haben, Grenzen unserer Möglichkeiten, Grenzen unserer Ressourcen. Und Conny kann da bestimmt auch noch ganz viel dazu sagen, wie man von Angehörigen auch sehr persönlich angegriffen werden kann. Also das ist sicherlich so, dass das schon nicht so leicht ist und dass die Angehörigen oft auch sehr direkt dann auf einen zugehen und sagen: Was ist hier los? Warum wird mein Angehöriger hier, weiß ich nicht, liegengelassen? Oder irgendwie, was sie halt … Die Angehörigen haben ja auch eben nur ein gewisses Wahrnehmungsfenster und was sie sehen, das sehen die eben und darüber raus nicht. Und das macht es eben oft auch schon schwierig, den Angehörigen zu vermitteln, wie wir die Dinge sehen, was wir sehen und so weiter. Und ich denke schon, dass es ein wichtiger Job für uns alle ist, auch als Team wiederum, die Angehörigen dahin zu bekommen, dass sie das Positive sehen, was bei uns passiert und die negativen Dinge, die halt auch da sind, mit unserer Begrenztheit, dass sie auch verstehen, dass das so ist. Und da kommst du auch schwer drüber irgendwie, sage ich mal. Also wir haben ein ganz engmaschiges Konzept, wie wir mit Fehlern umgehen, wie wir mit Schwachstellen umgehen, ob das Hygiene ist, ob das Organisation ist, ob das pflegerische Dinge sind, wo wir also Fehlerquellen rückmelden können, die aufgegriffen werden, wo dann wieder ein Team dahintersteht, die dann für Lösungsansätze sorgen, die wir dann gegebenenfalls auch gut umsetzen können. Aber wir machen das schon lange, und ich denke, es sind auch ganz viele Dinge da schon auf einem sehr hohen Niveau einfach umgesetzt.
Gordon: Das glaube ich gerne. Du hast gerade schon angesprochen, deswegen will ich es jetzt einfach wissen. Conny, es gibt natürlich diese Momente, wo Patienten und gerade Angehörige, aus meiner Erfahrung, Angehörige dann auch gerne mal ich sag mal etwas übervorsichtig sind mit ihren Angehörigen und dann es unter Umständen auch so ein bisschen Konfliktpotenzial mit der Pflege gibt. Wie geht man denn damit um, ohne dass es eskaliert?
Conny: Also das ist letztendlich so, man darf es nicht persönlich nehmen, wie Christian grad schon gesagt hat. Es entspricht aber auch einer gewissen Hilflosigkeit der Angehörigen. Wir haben uns teilweise jetzt auch schon Pläne entwickelt beziehungsweise die Therapeuten haben Pläne entwickelt, die wir dann in die Zimmer hängen, was sie an dem Patienten machen können. Und dann kriegen die von uns halt eben eine Einweisung: Das können Sie jetzt machen. Sie können Mundpflege machen, Sie können die Füße massieren, Sie können die Hände massieren. So diverse Sachen, wo man die Angehörigen halt eben auch mit in die Pflege mit einbinden kann.
Gordon: Das ist ja interessant.
Conny: Meistens ist es so, sonntags ist ja nun wirklich ein therapiefreier Tag und wir sagen dann immer, wenn der Patient keinen Bock hat aus seinem Bett raus zu gehen, dann bleibt der auch in dem Bett, wenn er das möchte.
Gordon: Ja klar.
Conny: Weil ich versuche, den Angehörigen das immer klar zu machen, dass so eine Woche Therapie von montags bis samstags für denjenigen, der diese Therapien macht, genauso ist wie, wenn unsereiner untrainiert einen Marathon macht. Die sind platt sonntags.
Gordon: Ein wichtiger Punkt, den du ansprichst, ist diese gefühlte Hilflosigkeit, die ich da als Angehöriger habe. Und wenn ich dann jetzt von euch zum Beispiel auf der Station irgendwie so ein, weiß ich nicht, ein kleines Briefing kriege so, was kann ich tun, um meinem Angehörigen was Gutes zu tun, komme ich in Aktion, bin ich nicht mehr hilflos, sondern mache etwas, tue etwas.
Conny: Ja genau. Das ist ja halt eben, das fängt mit der Mundpflege an, mit dem Füße massieren, Hände massieren, einfach sich mal danebensetzen und nicht nur die Wand anstarren, sondern auch mit demjenigen in Kommunikation zu gehen, auch wenn der keine Antwort geben kann. Das ist halt eben ganz, ganz wichtig. Und oftmals sind dann die Angehörigen, sagen wir mal so, es verlangt keiner, dass die täglich da sind, aber das sind die Angehörigen, die wirklich so einmal in der Woche mal für eine Stunde auftauchen und die dann richtig Rambazamba machen. Und ich hatte jetzt letztens halt eben so eine Begegnung mit einem Angehörigen, die aus der Pflege kommen, sind die Schlimmsten, sagt man ja immer so. Dieser Mensch stellte sich also als PDL vor bei mir und duzte mich auch noch die ganze Zeit. Und dann habe ich nur zu ihm gesagt: Entschuldigung, ich duze Sie nicht und ich möchte auch nicht, dass Sie mich duzen. Ich sage: Gut, Sie haben mir Ihre Beschwerden jetzt vorgetragen. Wir werden das nachher ändern. Aber ich sage: Das ist jetzt kein Grund, hier aggressiv zu werden oder laut zu werden.
Gordon: Abgrenzung ist ein Thema.
Conny: Abgrenzung ist ein Thema, genau.
Gordon: Okay. Vielen Dank für diese Einblicke. Und ja, das war sehr, sehr, sehr, sehr einleuchtend hier heute. Und ich glaube, da kann man super viel mitnehmen. Ich wünsche euch heute erstmal noch einen großartigen Tag und danke, dass ihr hier wart.
Conny: Danke.
Christian: Ja. Danke auch.
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