001 - Pflege trifft Logopäde
Shownotes
Hast du schon mal mit einer Trachealkanüle gearbeitet? Weder in der Pflege- noch in der Logopädie-Ausbildung wird man besonders gut angeleitet mit den Kanülen umzugehen.
Eine erste Begegnung kann somit zu Überforderungen führen. Gesundheits- und Krankenpflegerin Jessica und Logopäde Simon aus der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik geben Tipps, wie man mit den Kanülen am besten umgeht – und wie man ängstliche Angehörige oder Patienten/innen in einem Beatmungsfall am besten beruhigt.
Shownotes
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Folge 001: Pflege trifft Logopädie
Folge 001: Aufgenommen in der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik, Nümbrecht
Folge 001: [TC 00:05:35]: Jessica und Simon erinnern sich an eine gemeinsame Patientin mit Trachealkanüle
Folge 001: [TC 00:07:38]: „Angst belastet Therapiefortschritte“. Wie geht man damit um, wenn Patientin und oder ihre Angehörigen Angst haben?
Folge 001: [TC 00:09:58]: „Und dann hat die Patientin zum ersten Mal wieder gelacht.“
Folge 001: [TC 00:11:57]: Das erste Mal: Jessica und Simon geben Tipps zum Entblocken
Folge 001: [TC 00:22:02]: Intensive Patientenbeziehungen, wöchentliche Teambesprechungen mit allen Professionen, gegenseitige Unterstützung – das Arbeiten in der Reha ist anders als im Akuthaus
Gordon: Willkommen zur 1. Folge dieses Podcast. Ich freue mich hier grad wie ein kleines Kind, dass ich bei einem Podcast dabei sein darf, wo ich doch in meinem ersten Berufsleben auch Therapeut in einem Krankenhaus war, in einem interdisziplinären Team gearbeitet habe, wie ich ja schon im Teaser vorgestellt habe. Super, dass ich hier sein darf mit euch. Jessica ist hier am Start. Jessica repräsentiert heute die Pflege in dieser Episode und neben mir ist der Simon, seines Zeichens Logopäde. Schön, dass ihr da seid.
Simon: Hallo!
Jessica: Hallo!
Gordon: Seid ihr bereit für diese Art der Arbeit heute?
Simon: Das ist mal was ganz Anderes als sonst. Ich freue mich.
Gordon: Wann habt ihr angefangen zu arbeiten heute?
Simon: Heute?
Gordon: Mhm (bejahend).
Simon: Um acht.
Gordon: Um acht. Du auch?
Jessica: ja.
Gordon: Okay. Acht, okay, da sind wir auf dem Weg nach Nümbrecht gewesen. Schöne Ecke hier! Hat es euch hier ursprünglich her verschlagen, weil ihr hier wohnt oder seid ihr wegen des Jobs hergezogen?
Jessica: Weil ich hier wohne und hat sich dann so ergeben, und es ist schön hier.
Gordon: Ja, das ist wohl wahr. Simon, wie ist es bei dir?
Simon: Mich hat der Job hierhin gelockt.
Gordon: Okay. Wo kommst du ursprünglich her?
Simon: Ich komme ursprünglich vom Niederrhein, aus Kleve.
Gordon: Ah ja, genau. Super. Jessica, jedem ist klar, dass Pflege ein wichtiger Job ist und verantwortungsvoll. Aus deiner Sicht betrachtet und nach den Jahren der Berufserfahrung, was ist denn heute noch so der Reiz des Jobs für dich?
Jessica: Der Reiz ist hier in der Reha ganz besonders, wenn die Patienten schwer betroffen ankommen und überwiegend gesund wieder nach Hause gehen können.
Gordon: Gehen können, sagst du.
Jessica: Gehen können. Genau. Das ist unser Ziel meistens.
Gordon: Ja. Kannst du vielleicht einen kurzen Überblick geben, was so die Schwerpunkte sind in der Station, auf der du arbeitest?
Jessica: Auf der Station, wo ich arbeite, neurologisch, also meistens Schlaganfälle. Die Patienten sind schon schwer betroffen und die brauchen viel Betreuung, viel Therapie, deswegen ist die Zusammenarbeit mit den Therapeuten ganz wichtig.
Gordon: Und das, was man so als Erfolgserlebnis hat, ist tatsächlich zu sehen: Hey, der Mensch kommt wirklich in einer ganz, ganz schwierigen Situation seines Lebens hier rein (Jessica: Genau) und kann am besten danach wieder gehend die Klinik verlassen.
Jessica: Das wäre natürlich am besten. Das ist das Ziel, was wir haben. Es gelingt zwar nicht immer, dann vielleicht mit Hilfsmitteln oder sonstiges, aber Ziel ist meisten das Gehen nach Hause.
Gordon: Ja, das ist ein gutes Gefühl, das kann ich mir vorstellen. Simon, bei einem Logopäden denkt man ja erstmal so an Sprechstörungen. Ich bin froh, dass ich einen Logopäden dabeihabe, ich habe nämlich eine Schwierigkeit mit der Konsonantenkombination „gl“. Da bleibe schon mal hängen. Kannst du mir dabei helfen, wenn ich irgendwie jetzt hier im Podcast hängenbleibe?
Simon: Da könnte ich dir auch bei helfen, wenn du hängenbleibst. Unser Job als Logopäden in der neurologischen Reha ist oft ein anderer, da wir ja mit sprachgestörten Patienten arbeiten. Die haben dann zum Beispiel eine Aphasie, das heißt, die haben Wortfindungsstörungen, oft auch in anderen sprachlichen Bereichen Schwierigkeiten. Sprechstörungen sind vielleicht der Bereich, den du jetzt gerade angesprochen hast, also zum Beispiel Artikulationsstörungen oder Stimmstörungen. Dann haben viele unserer Patienten eine Fazialisparese, eine Gesichtslähmung. Und einen ganz großen Teil auf der Akutstation, auch auf den anderen Stationen, macht die Dysphagie-Therapie, also die Schlucktherapie aus. Das ist so ein ganz selbstverständlicher Ablauf, über den wir uns selten Gedanken machen. Aber auch da kann es nach einem Schlaganfall oder anderen neurologischen Erkrankungen Schwierigkeiten geben.
Gordon: So aus dem Bauch, weißt du, wie viele Muskeln beteiligt sind bei so einem Schluckakt?
Simon: Man sagt so etwa 50.
Gordon: Wow! Und wenn man halt einen Schlaganfall hat, kann es sein, dass da irgendwo vielleicht eine Dysbalance drin ist?
Simon: Klar. Ja. Also einerseits können es Lähmungserscheinungen sein, die das Schlucken schwierig machen, Sensibilitätsstörungen oder auch die Koordination dieser Muskelgruppen.
Gordon: Jetzt hast du gerade die Sensibilitätsstörung angesprochen. Wie äußert sich das denn so im Alltag eines Patienten?
Simon: Das kann sich so äußern, dass der Patient zum Beispiel schon bei der Nahrungsaufnahme Reste am Mundwinkel oder nach dem Schlucken in der Wange hat, die er selber gar nicht bemerkt. Und diese Sensibilitätsstörungen können auch natürlich weiter im Rachen gelagert sein, dass sie auch da nicht wirklich spüren, dass sie Reste da irgendwo hängen haben. Wir würden sofort heftig husten, versuchen, den Rachen wieder zu reinigen. Wir hören dann bei unseren Patienten oft so einen brodeligen Stimmklang und wundern uns manchmal: Mensch, warum hustet der nicht? Der merkt es nicht, hat Sensibilitätsstörungen.
Gordon: Jetzt haben wir natürlich hier die beiden Experten am Start, und es geht ja in diesem Bereich um das interdisziplinäre Team. Jetzt habt ihr euch schon ja so einen konkreten Fall oder eine konkrete Situation überlegt, wo ihr zusammengearbeitet habt. Richtig?
Simon: Ja, wir können uns an eine Patientin gemeinsam erinnern.
Gordon: Jessica, vielleicht magst du so einen kurzen Überblick geben über diese Situation mit der Patientin?
Gordon: [TC 00:05:35]
Die Fallgeschichte: Jessica und Simon erinnern sich an eine gemeinsame Patientin mit Trachealkanüle
Jessica: Ja. Diese Patientin kam mit Trachealkanüle. Das war das große Problem für sie auch und ganz besonders für die Angehörigen. Die meisten wissen ja gar nicht, was das ist, was macht das überhaupt mit dem Patienten? Und da sind wir ganz besonders darauf eingegangen, weil wir wussten, dass wir diese Patientin ohne Kanüle wieder nach Hause gehen lassen möchten.
Gordon: Wie ist denn diese Situation für die Patientin? Wenn man jetzt so als Laie sich das vorstellt, also wie sieht das aus und was war für diese Patientin, in Anführungsstrichen, das große Problem?
Jessica: Das Problem für die Patientin war, dass sie einen Schlauch im Hals hatte und dass sie angewiesen war auf viele andere, die ziemlich nah an ihre Intimsphäre gegangen sind, also quasi am Hals zum Absaugen, weil sie das Sekret nicht schlucken konnte. Sie konnte nicht mehr essen, was für viele sehr wichtig ist, das war für die Angehörigen auch schwer zu verstehen, dass sie halt nicht essen konnte.
Gordon: Wie haben die Angehörigen reagiert? Also wie habt ihr das wahrgenommen?
Jessica: Sie hatten, die Angehörigen hatten viele Fragen, sehr viele Fragen. Die waren sehr unsicher mit allem, die wussten nicht, sie wollten halt immer helfen der Mutter oder halt der Ehefrau und wussten nicht, wie sie helfen konnten. Und dann haben wir denen Tipps gegeben, was sie machen können, und da war auch sehr wichtig mit den Logopäden zusammenzuarbeiten in dem Bereich.
Gordon: Simon, wie ist aus logopädischer Sicht diese Situation gewesen?
Simon: Bei einer Trachealkanüle ist es ja so, dass der Atemweg sich völlig geändert hat. Die Patienten arbeiten dann mit der Atmung nicht mehr über Mund und Nase, sondern die Atmung verlässt den Körper eigentlich schon bevor sie überhaupt die Stimmlippenebene, den Kehlkopf erreicht hat. Das heißt, sie können eben in dem Moment nicht sprechen, nicht schlucken und man kann sich leicht vorstellen, dass so eine veränderte Atmung auch Angst verursacht bei dem Patienten und mit Sicherheit auch bei Angehörigen.
Simon: [TC 00:07:38]
Simon: „Angst belastet Therapiefortschritte“. Wie geht man damit um, wenn Patientin und oder ihre Angehörigen Angst haben? Jessica und Simon erzählen von ihren Erfahrungen.
Gordon: Jetzt kenne ich das aus meiner klinischen Erfahrung gar nicht so witzigerweise. Aber man kann sich das natürlich sehr vorstellen, wie es ist. War diese Patientin jetzt so vom kognitiven Status her voll anwesend, also war voll orientiert?
Simon: Ja, das war sie.
Gordon: Okay, okay. Gut. Wenn Vollorientierung da ist, ist es natürlich dann erst recht bitter. Gab es da irgendeine Art von Kommunikation, wie sie das kundgetan hat, dass sie Angst hat?
Simon: Na, sie hat gezeigt auf die Kanüle zum Beispiel, auf den Hals, sie hat mit anderen Gesten oder mit Mimik klargemacht, dass sie ein Unwohlsein verspürt, dass sie vielleicht in einer Situation nicht gut Luft bekommt.
Jessica: Man sah es ihrem Gesicht an.
Gordon: Und dann kamen die Angehörigen auch noch so als Erschwernis hinzu, die natürlich auch dann Angst hatten. Ist für alle eine total fremde Situation. Wie seid ihr mit den Angehörigen umgegangen?
Jessica: Wir haben viel mit Angehörigen gesprochen und auch gezeigt. Man weiß ja nicht, wie so eine Trachealkanüle aussieht. Das haben wir ihnen alles gezeigt: Wie der Ablauf ist, wenn das alles gut verläuft mit dem Entblocken, wie lange das dauert. Und da sie ja sehr gut mitgemacht hat, ist das immer ganz gut den Angehörigen zu sagen: Die hat Motivation, die Patientin, sie macht täglich supergut mit.
Gordon: Okay. Ist denn diese Angehörigenarbeit euer beider Aufgabe oder teilt ihr euch das auf?
Jessica: Wir haben es aufgeteilt. Also wir müssen ja schon gucken, dass wir da an einem Strang ziehen. Und gerade wo wir, also in welchem Zeitraum wir halt sind, entweder zwei Stunden entblocken oder drei Stunden, und da arbeiten wir halt extrem zusammen.
Gordon: Wie ist das logopädisch weitergegangen?
Simon: Also das Schlucken hat bei dieser Patientin eigentlich von Anfang an ganz gut funktioniert. Das, was die Therapiefortschritte so ein bisschen ausgebremst hat, war eben die durch die Angst belastete Situation der Patientin und der Angehörigen, die sich dann oft beim Husten erschreckt haben und dachten, oh, jetzt ist irgendwie Gefahr im Verzug, und dann gleich die Schwestern angeklingelt haben oder die Therapeuten gefragt haben, ist das denn gut, dass sie jetzt hustet, sollen wir nicht ein bisschen vorsichtiger sein?
Simon: [TC 00:09:58]
Simon: „Und dann hat die Patientin zum ersten Mal wieder gelacht“. Jessica und Simon erzählen von den magischen Momenten ihrer Arbeit – wenn die Patientin wieder komplett oralisiert ist und wie toll es ist, wenn man dann zum ersten Mal die Stimme hört.
Gordon: Ja gut, man kennt natürlich diese Geräusche im Krankenhaus, wenn irgendwo Sekret in der Trachealkanüle ist, das kann dann schon mal sich schlimmer anhören als es eigentlich ist. Wie ist das ausgegangen? Also das ist ja für alle Beteiligten eine belastende Situation, sowohl für das therapeutische Team als auch für die Angehörigen selbstverständlich. Wie ist das ausgegangen?
Simon: Also aus logopädischer Sicht konnten wir die Trachealkanüle dann im Verlauf entfernen. Die Patientin ist komplett oralisiert worden, das heißt, sie hat wieder alles gegessen, getrunken, was ihr geschmeckt hat. Sie ist dann von der Krankenhausstation auch auf eine Normalstation hier im Haus gegangen, konnte mit den anderen Patienten unten im Speisesaal essen.
Gordon: Ja super.
Simon: Und ich glaube, sie ist auch gelaufen, ne?
Jessica: Sie ist auch gelaufen. Ja.
Gordon: Erinnerst du dich noch so, wie die letzten Tage hier waren mit der Patientin?
Jessica: Ja. Wir haben uns alle sehr gefreut, als wir die Trachealkanüle ziehen konnten. Und sie auch aufgefordert, dann viel zu reden. Es hat einige Minuten gedauert, weil die Patientin nicht viel, also selten gelacht hat. Und dann hat die Patientin zum ersten Mal gelacht und gesagt, sie freut sich heute aufs Abendessen. Und das war dann für Angehörige, für sie und für uns natürlich mega.
Gordon: Ich erinnere mich, also es sind ja immer so diese magischen Momente, wenn man auf einmal seinen Auftrag erfüllt hat. Also ich erinnere mich da so an meine Zeit noch mal, wenn auf einmal die Stimme von einem Patienten zu hören war, die man noch nie gehört hat, und dann denkt man sich: Wow! Die Stimme habe ich mir ganz anders vorgestellt. Ist das für euch auch so, kennt ihr das?
Jessica: Ja.
Simon: Ja. Kennen wir auch. Ja. Die Stimme macht ja unheimlich viel der Persönlichkeit aus. Da staunt man immer, wenn man jemanden sieht und ihn nicht hört, was nachher an Stimme da rauskommen kann. Ja.
Gordon: Ja super. Das sind so Momente, die machen dann wirklich Spaß.
Jessica: Und gerade das machen wir dann, wenn wir da zusammenarbeiten und er sagt, wir können den dann morgen mal entblocken, und dann freut man sich schon darauf dann endlich mit dem Patienten die Stimme dann zu hören. Und der Patient wird danach viel motivierter.
Jessica: [TC 00:11:57]
Jessica: Niemand kann von Anfang an mit einer Trachealkanüle umgehen. Jessica und Simon erzählen von ihrem „ersten Mal“ und geben Tipps zum Entblocken
Gordon: Jetzt haben wir ja mal einen Logopäden hier und dieser Podcast richtet sich ja an Pflegekräfte. Hast du denn so ein paar ergänzende oder allgemeine Tipps, worauf man beim Entblocken achten darf?
Simon: Mit Sicherheit gibt’s da gute Tipps. Wir haben ja gerade schon gehört, dass das für die Patienten mit Unwohlsein oder Angst behaftet sein kann so eine Situation mit der Kanüle oder eben auch das Entblocken, wenn man die Atmung dann umleitet. Das fühlt sich ganz anders an. Oft kommt es dadurch dann auch erst zu einem mehr oder weniger heftigen Husten. Ganz wichtig ist natürlich, dass wir hygienisch arbeiten, dass wir gut vorbereitet sind, dass wir alle Materialien, die wir für den Fall der Fälle brauchen, direkt griffbereit haben, denn das ist so ein sensibler Bereich. Ich denke, das Wichtigste ist, dass man Sicherheit ausstrahlt, selber nicht hektisch wird, auch wenn es dann zu einer anstrengenden Hustensituation zum Beispiel kommen kann für die Patientin.
Gordon: Jetzt hast du zwei Sachen gesagt, die ich sehr wichtig finde. Was bedeutet für dich so ganz konkret eine hygienische Situation, was die Trachealkanüle angeht?
Simon: Das bedeutet zum Beispiel steriles Absaugen mit extra Schutzhandschuhe. Darauf achten, dass der Absaugkatheter auch steril bleibt, bis man ihn in die Kanüle einführt.
Gordon: Und dann hast du gesagt, dass es heftige Reaktionen geben kann. Wenn man das zum ersten Mal sieht, Jessica, das wirst du bestätigen können, ist das schon eindrücklich, wenn man da jemanden husten sieht und das hat ja immer was mit Stimme und Atmung zu tun. Ich erinnere mich da an meinen Zeiten, das war schon mal, ja, das war beeindruckend. Wie gehe ich denn da um, wenn auf einmal der der Patient so in Husten gerät?
Jessica: Ruhigbleiben, einfach ruhigbleiben, den Patienten versuchen zu beruhigen. Man denkt dann immer, oh, das ist schlimm, ein Husten, er hört gar nicht mehr auf, aber oft ist die Situation gar nicht so schlimm wie es aussieht. Man saugt dann das Sekret ab und beruhigt den Patienten. Wir haben die Patienten am Monitor liegen, man sieht, dass die Vitalwerte immer alle stabil sind. Und dann beruhigt sich der Patient automatisch, wenn er merkt, die Umgebung ist ruhig.
Gordon: Das ist ein guter Punkt. Hilft da Übung oder muss man das irgendwie im Blut haben?
Simon: Ich denke, das ist etwas, was man lernen kann durchaus, wo man eine Routine aufbaut. Was dem Patienten bestimmt auch noch weiterhilft, ist, wenn man einfach dem vorher nochmal erklärt Schritt für Schritt, was wir jetzt machen, und eben auch erklärt, was an Reaktionen auftreten kann, dass er dann nicht vollkommen überrascht ist.
Gordon: Jetzt habe ich grad so ein bisschen flapsig gesagt, dass es Standard ist für Logopäden. Das ist vielleicht gar nicht so richtig? Also für klinische Logopäden, also wenn man in einer Klinik arbeitet, ist das eines der Hauptarbeiten gerade so im neurologischen Bereich? Lernt man das in der Logopädie-Ausbildung schon?
Simon: Wenig. Das ist etwas, was man mit Sicherheit in der Theorie mal lernt und was man auch im Praktikum dann sieht, aber wirklich tun, durchführen macht man das eigentlich erst hier dann in der Klinik. Man besucht Fortbildungen zu dem Thema.
Gordon: Okay. Wie ist es denn so in der Ausbildung zur Pflege? Ist das Teil, lernt man das auf jeden Fall oder hat man da Glück oder Pech?
Jessica: Man kann Glück oder Pech haben. Also in der Theorie schneidet man das auf jeden Fall mal an, nur ob man den praktischen Einsatz hat, wo TK-Patienten liegen, ist dann halt Glückssache. Und deswegen kommen auch oft Schüler, die sowas vorher noch nie gesehen haben. Und das ist dann genau wie Angehörige: Oh, was ist das? Und da arbeiten wir uns dann auch Schritt für Schritt langsam dran. Und ich weiß ganz genau, wie es noch bei mir war, als ich das das erste Mal gesehen habe und weiß, dass man da halt sehr vorsichtig mit umgehen kann. Weil manchen liegt es einfach nicht, kann man nachvollziehen, und manche, klar, arbeiten gerne damit.
Gordon: Okay. Und was da hilft, ist dann mit Sicherheit auch dieses Arbeiten miteinander, oder?
Jessica: Genau.
Gordon: Also, dass man voneinander lernen kann.
Jessica: Ja, wir können dann zum Beispiel sagen zu unseren Schülern: Hier, unser Simon, der ist Logopäde, der kann das super gut, der kann viel erklären. Geh mal mit zur Therapie! Die können sich die ganzen Therapien mit anschauen, was auch immer sehr interessant ist.
Gordon: Wie ist das für dich, wenn dann Pflegeschüler oder wenn dann Leute frisch auf der Station sind? Die packst du dir dann unter deine Fittiche und dann zeigst du ihnen wie das funktioniert?
Simon: Ja genau. Die nehmen wir dann mit zu den Patienten. Und das ist für mich auch immer wieder spannend, denen zu erklären, was da passiert. Das ist ja eigentlich ein relativ simpler mechanischer Vorgang vom Entblocken und der Luftumleitung, aber es ist eben für viele ein Bereich, mit dem sie vorher noch nicht viel Berührung hatten.
Gordon: Okay, jetzt haben wir den kurzen Dienstweg, klar, ich habe das verstanden, aber ich möchte noch mal so ein bisschen nachbohren, ich will jetzt noch mal so ein bisschen an den Kern. Und mal gucken, ob ihr euch das traut zu antworten. Wie ist es denn bei dir gewesen ganz am Anfang? Du kommst in die Station, bist ganz neu und dann hast du da jemand liegen mit einer Trachealkanüle und das ist irgendwie komplett neu. Kannst du dich da noch so reinfühlen, wann war das?
Jessica: Ich weiß das noch ganz genau, ich kann mich noch an den ersten Tag genau erinnern, meinen ersten TK-Patienten vor 17 Jahren. Ich habe nur geguckt und meine Kollegin sah mir direkt an, die hat viele Fragen und hat auch mir direkt beigestanden, bei der Hygiene alles gesagt und gezeigt und hat auch erstmal mir Zeit gegeben.
Gordon: Mhm (bejahend). Das ist ein wichtiger Punkt, ne.
Jessica: Genau. Und dann tastet man sich immer langsamer und langsamer heran bis Routine drin ist.
Gordon: Das heißt so, es gibt diesen Punkt des ins kalte Wasser Schmeißens, was irgendwo mal funktioniert, aber im Bereich TK macht das dann keinen Sinn?
Jessica: Nein, nein, auf keinen Fall.
Gordon: Vielleicht noch mal so eine Innenschau so wie, was war das für ein Gefühl? Also kann ich mir das vorstellen, wenn man jetzt komplett überfordert ist in so einem Setting?
Jessica: Ich wusste ja gar nicht, was eine Trachealkanüle macht im Körper, wofür ist die da? Die ganzen Fragen und bis ich das überhaupt verstanden habe, warum hat der Patient denn das, aufgrund der Schluckstörungen, dass er nicht essen darf? Das lernt man alles nicht in der Ausbildung, man schneidet alles nur mal kurz an und dann ist man erstmal damit total überfordert. Und ich habe dann jeden Tag immer mehr damit gearbeitet mit den Logopäden, mit den Ärzten
Jessica: zusammen, und umso mehr hat man nachher auch verstanden, was die Trachealkanüle da macht, wofür die hilft.
Gordon: Jetzt hast du das so ein bisschen kryptisch gesagt. Kannst du das so ein bisschen konkretisieren, was war denn so ein typisches Beispiel, wo du gesagt hast, Shit, da komme ich jetzt nicht weiter, da frage jetzt mal jemanden im kurzen Dienstweg?
Jessica: Ja, das war zum Beispiel eine Patientin, der haben wir die Innenseele rausgenommen zum Säubern.
Gordon: Was ist das genau?
Jessica: Eine Innenseele, in der Trachealkanüle, das ist quasi nochmal ein Innenleben. Das wird rausgesetzt, um Patienten zum Sprechen zu bekommen oder nicht. Und das Ventil muss halt gewechselt werden. Und man merkte mit zunehmender Zeit, dass die Innenseele sich immer schwerer reinsetzen lassen wollte. Und man selber kann ja nicht durch den Hals reingucken. Und was war mein erster Gedanke? Ich frage den Logopäden.
Gordon: Das heißt, du erst gar nicht irgendwie rumgefummelt oder irgendwie gar nicht …
Jessica: Nein, gar nicht.
Gordon: … erst Panik gekriegt, (Jessica: Nein) sondern ich frag einfach den Simon?
Jessica: Ja.
Simon: Und ich konnte mit dem Video-Endoskop, was wir auf der Station zur Verfügung haben, durch die Kanüle mir einen Blick verschaffen und da sehen, dass der Sitz der Kanüle einfach nicht mehr richtig war. Das Fenster war verlegt und da war das dann kein Wunder, dass man mit der Innenseele nicht mehr wie gewohnt hantieren konnte.
Gordon: Jetzt hast du gesagt, du hast ein Gerät benutzt, wie hieß das noch mal?
Simon: Ein Video-Endoskop.
Gordon: Ein Video-Endoskop. Das hat man ja jetzt so als Logopäde jetzt auch nicht immer auf Tasche, ne, gerade, wenn man jetzt irgendwo nicht stationär arbeitet, sondern ambulant. Was macht denn so den Reiz auch noch mal aus, auch den Unterschied zwischen diesem ambulanten Arbeiten und dem stationären Arbeiten als Logopäde?
Simon: Also zum einen die Gerätschaften. Das Video-Endoskop zum Beispiel, was ich jetzt gerade für die Inspektion der Kanüle benutzt habe, das benutzen wir sonst, um die fieberendoskopische Schluckdiagnostik durchzuführen, die FEES, die uns auch nochmal Sicherheit gibt, wie gut schluckt denn jetzt jemand.
Gordon: Also Fieber heißt jetzt nicht Fieber im Sinne von Temperatur, sondern das ist so ein Fieberglas, oder was ist das jetzt genau?
Simon: Genau. Das war bei den früheren Modellen Fieberglas, heutzutage ist das ein Video-Endoskop, wo ein Chip wie bei einem Handy, bei einer Handykamera vorne draufsitzt. Und ein großer Unterschied, abgesehen von diesen Geräten, ist natürlich, dass ich, wenn ich den Patienten verlasse, weiß, er ist am Monitor, ich weiß, es ist Pflege da, ich weiß, es sind Ärzte da, der Patient, der wird sehr engmaschig betreut. Das ist wahrscheinlich was Anderes, als wenn ich jetzt bei einem Hausbesuch wäre und da die Türe zumache und vielleicht nicht weiß, wie es da genau weitergeht.
Gordon: Ja, guter Punkt. Die gleiche Frage an dich,
Gordon: Simon. Irgendwann kommt man aus der Ausbildung raus oder ist in der Ausbildung in einem ersten Praktikum, hat vielleicht schon mal so ein bisschen Berührung, auf einmal ist es dein Patient, für den du verantwortlich bist, und dann hat er diese TK und du hast vielleicht diese Souveränität noch nicht. Gab es diese die Situation auch bei dir?
Simon: Im Praktikum hatte ich tatsächlich wenig Patienten, die mit Trachealkanüle versorgt waren, und das war dann hier eine ganz andere Situation dann dafür verantwortlich zu sein, zumindest da eben innerhalb der Therapiezeit verantwortlich zu sein. Und da war ich sehr dankbar, dass ich da eine erfahrene Schwester an der Seite hatte, die mir da vieles erklärt hat und auch mir da einiges an Unsicherheit noch genommen hat.
Gordon: Ist es denn auch so, dass man dann denkt, man geht jetzt hier als Logopäde hier rein und müsste es eigentlich wissen, aber eigentlich ist es hier ein angenehmes Gefühl, dass man sich auf andere auch verlassen kann, die einem dann auch weiterhelfen können, oder?
Simon: Das ist ein angenehmes Gefühl, wenn man auf Augenhöhe miteinander arbeitet und nicht dem anderen vorgaukeln muss, ich kann alles, weil ich der Logopäde bin, sondern dass man sich dann auch traut, wenn Dinge unklar sind, sich da miteinander abzustimmen.
Simon: [TC 00:22:02]
Simon: Intensive Patientenbeziehungen, wöchentliche Teambesprechungen mit allen Professionen, gegenseitige Unterstützung – das Arbeiten in der Reha ist anders als im Akuthaus. Für Jessica und Simon hat es viele Vorteile.
Gordon: Jetzt fehlt mir so ein stückweit der Überblick, wie lange werden denn die Patienten eigentlich hier behandelt? Also wir haben jetzt von Erfolgserlebnissen gesprochen und von der Transformation hin von geblockt hin zu jemand, der dann irgendwie ganz selbstverständlich mit anderen Patienten in der Kantine isst. Über welchen Zeitraum reden wir denn eigentlich hier? Wie lange sind die Patienten bei euch?
Jessica: Bei uns auf der Akut sollten sie eigentlich zwei Monate, meistens wird es immer durch die Krankenkasse verlängert oder die Ärzte sagen, hier, wir sehen Fortschritte, da müssen wir noch dran arbeiten. Und auf der sonstigen Reha-Station kann drei bis vier, fünf Monate.
Gordon: Das heißt, ihr habt auch Zeit, ihr habt Zeit mit dem Patienten?
Jessica: Ja.
Gordon: Okay. Und wie läuft das ab? Gibt es da so interdisziplinäre Treffen auch? Gibt’s dann so Fallbesprechungen, wo man auch gemeinsam Ziele definiert und so weiter?
Simon: Klar. Jede Woche passiert das für jede Station, wo alle Therapeuten, die Ärzte, die Pflege, der Reha-Koordinator zusammensitzen und über Fortschritte sich austauschen oder was wir tun können, um den Patienten weiter voran zu helfen.
Gordon: Dass es hilfreich ist, ist klar, hilft dieses gemeinsame Arbeiten die Ziele besser zu definieren auch für euch als Pflege?
Jessica: Ja, viel besser, weil man hört auch von anderen Sichten, von der Krankengymnastik, von den Logopäden. Der Patient ist in jedem Bereich anders. In der pflege zum Beispiel ist er jetzt gerade nicht motiviert sich das Gesicht zu machen, macht bei der Logopädie aber super Fortschritte. Und so können wir uns super gut austauschen.
Gordon: Okay. Dann kriegt man auch die Fortschritte in anderen Disziplinen mit.
Jessica: Ja, genau.
Simon: Umgekehrt ist es so, dass wir die Patienten nur innerhalb unseres Therapiefensters sehen und von der Pflege dann oft wertvolle Rückmeldungen kriegen, wie hat denn das, was wir jetzt in der Therapie angefangen haben, denn über den Tag weiter funktioniert.
Gordon: Und das ist eben der Vorteil bei einem therapeutischen Team, dass man ein gemeinsames Ziel hat und dass man auch realistische Ziele für den Patienten hat. Und dann eben nach dem Behandlungsfenster auch weiß, hey, das sind Leute, wo wir einen kurzen Dienstweg haben, die mir dann auch zeitnah eine Rückmeldung geben können, wie hat das und das geklappt, wie war das jetzt da in der und der Situation, war der Schmerz im Arm beim Anziehen etwas besser, ging das irgendwie? Solche Sachen. Und das ist eben die Magie, die dann passieren kann.
Gordon: Wenn wir uns jetzt mal genau dieses interdisziplinäre Arbeiten anschauen aus eurer Sicht, ihr macht das ja jetzt schon eine ganze Weile mit Verlaub, habt ihr jeweils so ein, zwei Tipps aus eurer Profession, wie dieses interdisziplinäre Arbeiten funktioniert, was das ausmacht?
Simon: Man kann nicht oft genug sagen Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Gerade hatte ich schon angesprochen die wöchentliche Teamsitzung, die wir haben. Natürlich hat man auch viel Kontakt auf dem Flur zum Pflegepersonal und kann sich da austauschen, aber vieles geht auch nicht zwischen Tür und Angel, da ist es wichtig, dass man das gut verschriftet. Dann haben wir im Patientenzimmer zum Beispiel ein Whiteboard, wo wir wichtige Informationen hinterlassen und andere hausinterne Systeme, wo wir uns austauschen können, was wann wie passieren soll.
Gordon: Das ist spannend. Wie sieht denn dieses Whiteboard aus? Was steht da drauf?
Jessica: Da steht Datum, Uhrzeit, wann der Patient rausgesetzt worden ist, also quasi die wichtigsten Informationen, die man eigentlich für den Tag braucht. Wenn die Schlucktherapeuten drin waren, uns jetzt nicht angetroffen haben, dann steht: Seit halb acht, entblockt bitte bis zwölf Uhr. Und wir haben eigentlich den vollen Überblick, was genau passieren könnte.
Gordon: Okay, also Kommunikationen, Kommunikation, Kommunikation habe ich verstanden. Aus deiner Sicht, gibt es noch irgendwas, was für ein interdisziplinäres Arbeiten spricht? Schwieriges Wort.
Simon: Mit Sicherheit wird das interdisziplinäre Arbeiten einfacher, wenn man den anderen Disziplinen offen gegenübersteht, wenn man die Erfahrungen und die Fachkompetenz der anderen achtet und als wertvolle Ressource wahrnimmt.
Gordon: Jeder ist Teil eines Gesamtteams und jeder ist wichtig, ist es das, was du damit sagen möchtest?
Simon: Vollkommen richtig.
Gordon: Okay. Aus deiner Sicht, was macht denn so diese Arbeit aus?
Jessica: Es ist arbeitserleichternd, man kann sich auch mal aussetzen, wenn man zum Beispiel nicht weiß oder gerade, warum klappt das hier nicht. Dann gehe ich zu dem Kollegen und frag einfach. Der kann mir dann helfen.
Gordon: Es ist banal, aber das ist es, ne?
Jessica: Ja.
Gordon: Wie war das vorher? Ich meine, kennst du das von Kollegen, fühlt man sich da schon mal alleine irgendwie auf weiter Flur, wenn man mit Patienten arbeitet, ohne jetzt ein Team zu haben?
Jessica: Ja. Wenn man ohne Team arbeitet, ist man alleine. Ja. Man muss schon im Team zusammenarbeiten, dann ist alles viel einfacher.
Gordon: Das ist ein wunderbares Schlusswort. Ich bedanke mich für die Zeit, Simon und Jessica, oder Jessica und Simon, so rum ist es richtig. Vielen Dank für diesen Einblick. Vielen Dank für die Zeit, die ihr hier eingesetzt habt. Ich wünsche euch jetzt noch einen erfolgreichen Therapietag in der Hoffnung, dass der eine oder andere Patient in den nächsten Wochen hier auch wieder laufend die Klinik verlässt. Vielen Dank, dass ihr da wart.
Simon: Gerne.
Jessica: Gerne.
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